Misstrauen schlägt dem jungen
Baumeister entgegen, als er sich - etwas verunsichert - der Gruppe
nähert. Die Miende des Grafen ist alles andere als freundlich,
als er sich an Morten wendet.
"Was macht Ihr hier?" fährt er ihn an.
"Verzeihung. Ich mache nur einen
Morgenspaziergang. Ich wusste nicht, dass das verboten ist." Morten
ist etwas ungehalten über diese Behandlung.
Graf Tamaig blickt kurz zu Camren hinüber und
nickt diesem zu. Camren faltet seine Hände, und Gwendon, der
recht nahe bei ihm steht, hört deutlich wie der Priester ein
Gebet oder einen Zubverspruch murmelt. Tamaig richtet sich wieder an
Morten. Etwas sanfter fährt er fort: "Es tut mir leid, aber dies
ist sehr wichtig. Seid Ihr uns nachgeschlichen oder habt Ihr uns
belauscht?"
Morten schüttelt empört den Kopf. "Weder
noch. Wie gesagt, ich wollte nur einen Spaziergang machen und mir bei
der Gelegenheit die Ruinen ansehen. Ich hatte keine Ahnung, dass ich
Euch hier treffen würde. Wenn Euch das lieber ist, kehre ich
sofort zum Lager zurück."
"Wisst Ihr, warum wir hier oben sind?"
Morten schaut von einem zum anderen. "Ich habe
nicht die geringste Ahnung. Aber ich nehme an, es hat nichts mit der
Jagd zu tun?"
Der Graf schaut fragend zu Camren, und dieser
nickt ihm beruhigend zu.
"Es ist gut. Verzeiht Meister Essansor, dass ich
Euch so angefahren habe."
"Ich werde dann wohl wieder zum Lager gehen," sagt
Morten, und schaut dabei Camren etwas unbehaglich an.
Aber der Graf schüttelt nach kurzem
Nachdenken den Kopf. "Nein, bleibt hier. Ich möchte, dass Ihr
hört, was hier gesprochen wird."
Malvin mischt sich ein. Seine blauen Augen
scheinen Morten förmlich zu durchbohren. "Herr Graf, ist das
wirklich eine gute Idee? Was wir hier zu besprechen haben, ist nicht
für jedermanns Ohren bestimmt."
Auf der Stirn des Grafen hat sich eine steile
Falte gebildet. "Oberst Malvin, mir ist diese Geheimniskrämerei zuwider. Entweder
Ihr könnt mich überzeugen, dann wird diese Angelegenheit
sowieso öffentlich geklärt werden müssen, oder nicht,
dann solltet Ihr besser dieses Land verlassen."
Weder Malvin noch Morten scheinen von der
Entscheidung des Grafen begeistert zu sein, aber dieser duldet keinen
Widerspruch. Malvin schüttelt nocheinmal den Kopf, fährt
dann aber fort: "Na gut, wie Ihr wünscht. Ihr solltet Euch dies
hier einmal ansehen."
Mit diesen Worten holt er unter seinem Umhang eine
Tasche hervor, entnimmt dieser einige zusammengerollte Pergamente und
reicht sie dem Grafen. Dieser nimmt sie zögernd entgegen, liest
sie dann aber sehr aufmerksam.
Währenddessen wendet sich Malvin Turras,
Gwendon und Garthan zu. Er drückt jedem von ihnen die
Hand.
"Gut, dass Ihr gekommen seid. Wir haben uns
sicherlich viel zu erzählen, aber das muss noch eine Weile
warten."
Turras nickt. "Es gibt einiges zu berichten -
einige erstaunliche und beunruhigende Entwicklungen in
Chelekar."
"Ich habe Gerüchte gehört. Ein
ausführlicher Bericht wird mir aber sehr willkommen
sein."
Graf Tamaig reicht die Schriftstücke, die er
gelesen hat, an Camren weiter und seine Miene verfinstert sich
zusehends. Auch der Priester blickt sehr ernst, als er sagt: "Dies
scheint wirklich König Gerens Handschrift zu sein, Herr Graf.
Aber ich möchte das noch genauer untersuchen."
Malvin sagt: "Ich vertraue sie Eurer Obhut an,
Graf Tamaig. Ich wüsste niemand, bei dem sie besser aufgehoben
wären."
"Wenn diese Dokumente echt sind ..." murmelt der
Graf. "Wo habt Ihr sie her?"
"Einige meiner Leute fanden sie bei den
Söldnern, denen ich sie hinterher geschickt hatte. Sie kamen
jedoch zu spät; Gerens Familie war schon tot."
"Lebt noch jemand von diesen
Söldnern?"
"Malvin schüttelt den Kopf. "Leider nicht.
Soweit ich weiss, sind sie alle bei einem Steppenbrand ums Leben
gekommen. Aber Ihr könnt mit einem von meinen Leuten sprechen,
der dabei war."
"Wo ist das ganze passiert?"
Aber Malvins Aufmerksamkeit ist plötzlich
nicht mehr auf den Grafen gerichtet. Vielmehr achtet er auf Turras,
der angestrengt in Wald hinein lauscht. In der plötzlichen
Stille hört man deutlich das Brechen von Zweigen und das
Rascheln von Laub aus der Richtung des Lagers.
"Wer kommt den nun Schon wieder?" seufzt der Graf
und wirft Hauptmann Brandon einen vorwurfsvollen Blick zu, weil
dieser es versäumt hat, den Gardisten, der Morten gebracht hat,
wieder auf seinen Posten zu schicken.
Malvin, Graf Tamaig und der Hauptmann gehen einige
Schritte in Richtung des Waldrandes, und Turras und Garthan folgen
ihnen in kurzem Abstand. Die anderen beobachten das Geschehen aus dem
Hintergrund. Es wird deutlich, dass sich nicht nur eine sondern eine
ganze Menge Perosnen nähert. Dann tauchen zwischen den
Bäumen Bewaffnete auf, und sie tragen nicht die Farben von
Llannaid, sondern sind sind in nichtssagende Rüstungen und
Umhänge gekleidet. Ihr zieht Eure Waffen.
Graf Tamaig richtet sich zu seiner vollen
Grösse auf. "Wer geht dort im Forst von Dannmar?"
Der erste der Neuankömmlinge tritt unter den
Bäumen hervor und bleibt ungefähr drei Dutzend Schritt von
Malvin und dem Grafen entfernt stehen. Er trägt Kettenhemd und
Helm und hält ein Schild und eine schwere Axt in seinen
Händen. Auf den ersten Blick scheint er die Zähne zu einem
bösartigen Grinsen gefletscht zu haben, aber dann kann man
erkennen, dass ihm die Unterlippe fehlt, und so die Zähne seines
Unterkiefers zu sehen sind. Zwei, drei, vier ähnlich bewaffnete
Kämpfer kommen hinter ihm aus dem Wald - zwei davon halten
Langbögen in ihren Händen und haben ein Pfeil auf die Sehen
gelegt. Hinter ihnen unter den Bäumen sind noch mindestens acht
oder neun andere zu sehen.
Der Graf ruft ihnen entgegen: "Was sucht Ihr hier?
Dies ist das Land des Hauses Llannaid, und niemand geht hier ohne
meine Erlaubnis."
Endlich antwortet der Mann ohne Unterlippe. "In
Namen des Königs! Legt Eure Waffen nieder und leistet keinen
Widerstand!"
"Was fällt Euch ein! Ich kenne Euch, Turgan,
aber dass Ihr zur königlichen Garde gehört, gibt Euch kein
Recht hier so aufzutreten. Steckt Euer Schwert weg, und dann werde
ich vielleicht ... "
In diesem Moment spannt einer der Männer
seinen Bogen und zielt auf den Grafen. Ein Warnruf erklingt aus
mehreren Kehlen. Malvin ist zu weit weg, aber Brandon ap Riados
springt vor seinen Herrn. Das Schwirren des Pfeiles ist zu
hören, und der Hauptmann bricht vor den Füssen des Grafen
zusammen. Der Pfeil ragt wie ein Mahnmal aus seiner Brust.