DATUM: 5. Aleët (Diensttag der Feuerwoche des Monats Elrani) -
Abends
Der Graf hat alle seine Gäste zu
einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Die grosse Halle ist zum
Bersten gefüllt mit Menschen. Von der erhöhten Tribüne
im hinteren Teil, auf der die Tafeln des Grafen und der Gäste
steht, blickt man auf die Köpfe von Soldaten, Dienern, Knechten,
Mägden und anderen Gefolgsleuten des Grafen, die alle gemeinsam
ihr Abendmahl einnehmen.
Den Ehrenplatz an der rechten Seite des Grafen
nimmt heute ein Neuankömmling ein: Morten Essansor. Der Graf hat ihn als Baumeister aus Narsaria vorgestellt
und will offensichtlich diese Gelegenheit nutzen, ihn in Llannaid
einzuführen. Dementsprechend sind auch einige der wichtigsten
Bewohner der Stadt eingeladen worden.
Natürlich ist Bergen ap
Llannaid anwesend, der Onkel des Grafen.
Tief über seinen Teller gebeugt stochert er missmutig in seinem
Essen herum. Seine grauen Augen über der Hakennase scheinen
tiefes Misstrauen gegenüber dem Fremdling
auszudrücken.
Der einzige der gelegentlich ein paar Worte an
Bergen richtet, ist Camren, ein Priester des Saër mittleren Alters, der ein
persönlicher Freund und Vertrauter des Grafen ist. Er lebt wohl
auch auf der Burg.
Andere prominente Gäste sind Immain, der Schildträger Liëssons von Llannaid (d.h.
der Tempelvorsteher), Ciall ap Gawaen, der Tempelvorsteher des
Saër-Tempels und damit Stadtrichter von Llannaid, Cormac ap
Llannaid, der Stadtvogt und ein entfernter Verwandter des Grafen, und
Voraig, der Hafenmeister.
Zur linken Seite des Grafen sitzt seine Frau
Raenna. Graf und Gräfin verhalten sich zwar höflich,
aber kühl zueinander. Raenna unterhält sich meistens mit
einer sehr hübschen jungen Frau namens Arwen ap
Tereg. Sie ist eine Nichte des Grafen und
zur Zeit bei ihm zu Besuch.
Die anderen Gäste des Grafen, Ajac,
Garthan, Gwendon und Turras sitzen an einem der Nebentische, zusammen mit dem Haushofmeister Sionric, dem Bibliothekar und Schreiber der Burg Liogan und den beiden militärischen Berater des Grafen, Brandon ap
Riados, dem Hauptmann der Leibgarde, und
Levardos, Hauptmann der Stadtwache. Diese beiden verhalten sich recht ruhig, zeigen aber durchaus Interesse an dem Neuankömmling Morten.
Die Unterhaltungen an allen Tischen sind recht
lebhaft, drehen sich aber um relativ belanglose Dinge, wie das
Wetter, den gestrigen Festtag und die anstehende
Jagdgesellschaft.
Morten wendet sich an den Grafen. "Oh, verzeiht
verehrter Herr Graf, ich scheine hier nicht der einzige Fremde zu
sein. Ist dieser junge Mann auch einer Eurer Gäste hier ? Ich
sah in gestern in der Krone". Er deutet sehr dezent auf den
Nebentisch.
Der Graf nickt. "Ja, das ist Meister Ajac, ein
Traumdeuterr. Er und seine Freunde haben der Stadt einen grossen
Dienst erwiesen. Ihr werdet sie auch auf der Jagd sehen."
"Einen grossen Dienst?"
Der Graf blickt sehr ernst, als er Morten
antwortet. "In der Stadt hatte sich ein Kult breitgemacht unter der
Führung eines Zauberers und huldigte dem Gott Kjarun, dem Herrn
des Hungers und der Wüsten. Diese vier konnten den Kult und den
Zauberer ausfindig und unschädlich machen."
...
Nach dem reichlichen Abendessen - es gab viel
Wildbret und Geflügel - bittet Arwen ap Tereg plötzlich
Gwendon, etwas auf seiner Laute vorzutragen.
"Nichts tue ich lieber, als Euch diesen
Wunsch zu erfüllen." meint Gwendon, während er
unauffällig seine Hände am Tischtuch abwischt und seinen
Stuhl zurückschiebt.
Er winkt mit einer leicht affektierten Geste einem
Bediensteten, ihm seine Laute zu reichen, die er mitgebracht hat.
Gemessenen Schrittes geht er in die Mitte des Raumes und achtet
darauf, eine gut ausgeleuchtete Stelle zu finden.
Kurz beugt er sich über seine Laute und
stimmt sie. Dann dringt der erste Ton rein und klar aus seiner
Kehle.
In ihrer Schönheit wandelt sie
Wie wolkenlose Sternennacht;
Vermählt auf ihrem Antlitz sieh
Des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht:
Der Dämmrung zarte Harmonie,
Die hinstirbt, wenn der Tag erwacht.
O diese Wang; o diese Braun,
Wie sanft, wie still, und doch beredt,
Was wir in ihrem Lächeln schaun!
Ein frommes Wirken früh und spät,
Ein Herz voll Frieden und Vertraun,
Und Lieb, unschuldig wie Gebet.
Als der letzte Ton verklingt, gibt Applaus und
bewundernde Zustimmung von der gräflichen Familie und ihren
Gästen. Dem grösseren Publikum in der Halle wäre ein
einfacheres und gröberes Trinklied sicherlich lieber gewesen,
aber die, für die das Lied gedacht war - Arwen ap Tereg -
lächelt Gwendon zufrieden an - ihr scheint sein Lied sehr gut
gefallen zu haben.
Kurz darauf zieht sich der Graf zusammen mit
Morten Essansor und den meisten wichtigen Persönlichkeiten der
Stadt zurück.