DATUM: 10. Aleet (Geistertag, Feuerwoche, Elrani) - Morgens
"Schschsch... Wartet einen Moment... Hört ihr etwas?" Gwendon hat die Hand
erhoben und lauscht in die Dunkelheit hinein.
Turras, der an letzter Stelle geht, versucht, mit seinem Leuchtstein die
Finsternis hinter Euch zu durchdringen und meint: "Ich glaube, daß wir
verfolgt werden. Es hat sich jedoch nicht nach Turgans Leuten angehört."
In der folgenden Stille, als alle dem Atem anhalten, ist jedoch nichts
zu hören. Es ist ruhig wie in einem Grab.
Morten's Stimme klingt ein wenig unsicher und unbehaglich, als er sich zu
Wort meldet. "Mir war, als wenn ich da was an - nein in der Wand gesehen
hätte,....aber vielleicht sieht man da schon mal merkwürdige Dinge..."
"Wir sollten schnell sehen, daß wir hier rauskommen", fügt er nach einer
Pause hinzu.
"Das sind die Geister der Toten." Die Worte aus dem Mund des Gardisten
klingen oberflächlich ruhig, aber man kann die Angst, die hinter ihnen
liegt, spüren. "Wir stören ihre Ruhe, und sie kommen, um sich dafür zu
rächen."
"Jetzt ist es aber genug!" kommt Malvins ungeduldige Stimme von vorne. "Die
Dunkelheit gaukelt einem viele Dinge vor. Wir haben keine Zeit, hier
herumzustehen und zu debattieren. Weitergehen!" Er dreht sich um stapft den
Gang weiter hinunter."
Schweigend kommt ihr seiner Aufforderung nach, obwohl es Euch
unwahrscheinlich erscheint, daß die Dunkelheit Geräusche vorgaukelt. Aber
als ob Malvins Worte auch die Geister oder wen auch immer beeindruckt hätten
- vorerst nehmt Ihr keine beunruhigenden Töne oder Schatten mehr wahr.
...
Ihr seid nun seit geraumer Zeit unterwegs, und Eure Beine werden nach den
Anstrengungen des Morgens langsam schwerer. Wie hoch ist die Sonne
inzwischen in der Welt des Tages gestiegen? Ihr wißt es nicht zu sagen.
Unvermittelt öffnet sich der Gang in ein großes Gewölbe.
Die Kraft der Leuchtsteine reicht nicht aus, den Raum in seiner Gesamtheit
zu erhellen, so daß sich Wände und Decke in der Finsternis verlieren.
Rohe, unverzierte Säulen stützen das gewölbte Dach, und zwischen diesen
führen breite Stufen hinab zum tiefer gelegenen Zentrum des Raumes. Was Eure
Augen sich zieht ist jedoch nicht die beeindruckende Szenerie der
unterirdischen Halle, sondern die Wandmalereien. Legionen von Gestalten
ziehen sich über die Wände des Raumes hin und verschmelzen am Rande des
Lichtkreises mit der Dunkelheit. Geisterhaft wirken sie, denn kein Farbfleck
bringt Abwechslung in die erstarrte Menge - alles ist schwarz, weiß oder
grau.
Gwendon tritt an die Wand heran und fährt vorsichtig mit den Fingern über
die Malereien. Offensichtlich haben sie unter dem Zahn der Zeit gelitten. An
vielen Stellen sind sie abgeblättert und offenbaren den darunter liegenden,
geglätteten Fels. Ob jedoch auch die Farbe ein Opfer der Zeit geworden
ist, oder ob die unbekannten Künstler von vorneherein auf ihren Einsatz
verzichteten, ist nicht ohne weiteres zu erkennen.
Die Szene direkt neben der Öffnung, durch die Ihre die Halle betreten habt,
zeigt eine lange Marschkolonne von Menschen, die bepackt mit ihrem Hab und
Gut einen Tunnel betreten. Abseits der Kolonne sind vereinzelt
zusammengesunkene Gestalten zu erkennen - Menschen, die vielleicht den Marsch
nicht geschafft haben und aus Erschöpfung zusammengebrochen sind.
Der einzige, der kein Auge für die Wandmalereien hat, ist Malvin. Lauscht er
auf irgendein Geräusch, oder versucht er die Dunkelheit, die die
gegenüberliegende Seite der Halle verbirgt, mit seinen blauen Augen zu
durchdringen? Ob er irgendetwas wahrnimmt, was Euch anderen entgeht, ist
nicht festzustellen, aber er scheint einigermaßen ruhig zu sein, als er
sich umwendet.
"Das erste Stück haben wir geschafft, auf der anderen Seite der Halle führt
ein Gang weiter, dann kommt eine weitere, noch größere Kammer, von der
ein Weg zurück an die Oberfläche führen sollte." Er läßt den Blick über
Eure kleine Gruppe schweifen. "Ich denke, eine kleine Pause ist angemessen.
Wir werden noch eine Weile unterwegs sein."
Nicht alle sind besonders erbaut darüber, länger als unbedingt nötig in
diesen Gewölben zu bleiben. Andererseits kommt eine kurze Pause nicht
ungelegen, besonders Graf Tamaig merkt man an, daß er erschöpft ist.
Und besonders Gwendon und Morten schätzen die Gelegenheit, einen
ausführlicheren Blick auf die Wandmalereien zu werfen. Während Turras
sich in der Nähe Malvins niederläßt, der er es sich auf der obersten
Steinstufe bequemt macht, läßt sich Gwendon einen Leuchtstein geben und
geht mit Morten zur Wand hinüber.