"Ho! Achtung da vorne! Wollt ihr etwa
die letzte Kiste noch auf den Meeresgrund schicken?"
Kein Wunder, dass die Matrosen nicht mehr ganz bei
der Sache sind, denn das Ausladen ist fast beendet, und die
Auszahlung der Heuer steht kurz bevor. Inzwischen ist der Nachmittag
gut voran geschritten, und auch Du freust Dich darauf, die Arbeit
endlich abzuschliessen. Da nähert sich Fiarel.
"So Meister Kallar, damit wäre Eure Zeit
unter meinem Kommando für das Erste beendet. Es war gut, Euch an
Bord zu haben. Hier sind vier Ilas und 32 Klan, Eure Heuer. Denkt
daran gelegentlich vorbei zu schauen, Euch stehen noch fünf
Prozent des Handelserlöses zu. Ich denke, ich werde die Waren in
ein paar Tagen verkauft haben."
Mit diesen Worten reicht sie Dir einen
Lederbeutel.
"Danke, Kapitänin. Es war ein Vergnügen
auf der Celara zu segeln. Vielleicht werde ich im Frühjahr
wieder mit Euch segeln."
Fiarel nickt Dir noch einmal zu und wendet sich
dann ab, um den Rest der Mannschaft auszuzahlen.
Du lässt Dich mit dem Boot ans Ufer setzen.
Der Bootsmann hat Dir gesagt, dass alle Passagiere der Celara im
Gasthaus "Zur Krone" abgestiegen sind, das direkt am Marktplatz
liegt. Du solltest also in der Lage sein, Aiunn zu finden. Mit Morten
hast Du Dich für heute abend, 2 Atlai nach Sonnenuntergang, in
der "Perlengrotte" verabredet. Das lässt Dir jede Menge Zeit,
Aiunn noch einmal zu sehen und Dich von ihr zu verabschieden.
...
Du stehst vor dem Gasthaus und zögerst.
Sollst Du wirklich schon hinein gehen? Vielleicht ist sie gerade noch
beim Auspacken, und Du würdest stören? Aber wenn sie direkt
nach Gwynnin weiterreisen, ist sie morgen vielleicht schon fort? Ach
was, auf geht's. Halt! Eine Gestalt kommt aus der Gasse direkt neben
dem Gasthaus. Das ist doch? Nein! Doch! Sie hat zwar ihren Umhang um
sich geschlungen und die Kapuze über den Kopf gezogen, aber es
ist eindeutig Aiunn. Aber sie geht nicht zum Eingang der "Krone",
sondern überquert mit schnellen, zielstrebigen Schritten den
Marktplatz.
Dich scheint sie nicht gesehen zu haben. Bevor Du
eigentlich weisst, was Du tust, folgst Du ihr. Vielleicht gibt sich
ja eine Gelegenheit sie anzusprechen. Aber Du bist auch neugierig,
was sie in der Stadt vorhat, so kurz nach ihrer Ankunft. Will sie
nicht erkannt werden, oder warum diese Vermummung? Vielleicht will
sie ja zu Dir? Aber nein, sie schlägt nicht den direkten Weg zum
Hafen ein. Bevor Du Dich versiehst, gibst Du Dir schon Mühe,
nicht von Ihr entdeckt zu werden. Jetzt musst Du es auch bis zum Ende
durchziehen und sehen wohin sie geht.
Ohne anzuhalten durchquert Aiunn das schummrige
Hafenviertel, überquert den Bach, der durch die Stadt fliesst
auf einer wackeligen Holzbrücke und gelangt schliesslich in das
ärmliche Viertel der Fischer. Hier beginnt sie sich umzuschauen.
Was will sie hier? Dann scheint sie gefunden zu haben, was sie sucht,
und betritt ein kleines, zweistöckiges Holzhaus.
Du bleibst hinter einer Ecke stehen und wartest
ab. Nach nur ein paar Minuten taucht Aiunn auch schon wieder auf. Und
kommt direkt auf Dich zu!
Du ziehst Dich tiefer in einen Hauseingang und
atmest erleichtert auf (warum eigentlich?), als sie an Dir
vorbeigeht, ohne Dich zu bemerken. Offensichtlich macht sie sich auf
den Weg zurück zum Gasthaus? Was tun? Ihr weiter folgen oder
nachschauen, was das für ein Haus ist? Spontan entscheidest Du
Dich dafür, Dir das Haus etwas näher anzusehen.
Von aussen ist an dem heruntergekommen
Gebäude nichts besonderes zu entdecken, und so klopfst Du
schliesslich an der Haustür. Drinnen hörst Du eine Tür
knarren, schlurfende Schritte nähern sich, und dann öffnet
ein kleiner Mann mittleren Alters die Tür und schaut Dich mit
einer Mischung aus Misstrauen und Neugier an. Du nimmst eine
untertänige Haltung an.
"Verzeiht mein Herr, ich habe eine Nachricht
für eine junge Dame von meinem Kapitän. Er sagte, ich
sollte hier nach ihr schauen."
"Da kommst Du zu spät. Die war eben hier, ist
aber sofort wieder weg, nachdem ich ihr gesagt habe, dass Jolgin hier
nicht mehr lebt."
"Könnt Ihr mir den sagen, ob wo ich sie und
diesen Jolgin, denn jetzt finden kann?"
"Kaum. Jolgin ist tot."
"Tot?"
"Ja, ermordet worden. Dass habe ich auch der Dame
gesagt."
"Um der Götter willen, ermordet? Wie ist das
passiert?"
"Ich hab' keine Ahnung und will es auch gar nicht
wissen. Ich habe seine Leiche gestern morgen in seinem Zimmer
gefunden. Und jetzt verschwinde, die Dame ist nicht mehr
hier."
"Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo ich sie
jetzt finden kann?"
"Nein, keine Ahnung."
Mit diesen Worten schlägt er die Tür vor
Deiner Nase zu. Verwirrt und durcheinander stehst einen Augenblick
da. Was hat da nun zu bedeuten? Aiunn erkundigt sich nach jemandem,
der in einen heruntergekommenen Haus wohnte und ermordet wurde?
Irgendwie hast Du das Gefühl, dass es nicht die beste Idee ist,
sie danach zu fragen. Aber sie noch einmal sehen musst Du trotzdem.
Da Du nicht direkt nach ihrer Rückkehr in der "Krone" auftauchen
willst, läufst Du noch eine zeitlang in Gedanken versunken durch
die Strassen.
...
Tock....Tock, Tock.
Etwas zögerlich klopfst Du an die Aiunns
Zimmertür. Aber das Aufleuchten in ihren Augen, als sie
öffnet und Dich sieht, gibt Dir Mut und Selbstvertrauen.
"Tim! Wie schön. Komm rein! Ich hatte gar
keine Gelegenheit an Bord noch mal mit Dir zu sprechen."
Sie zieht Dich ins Zimmer und gibt Dir einen -
leider nur flüchtigen - Kuss. Ihr Gepäck steht
grösstenteils unausgepackt im Zimmer herum.
"Aiunn, ich wollte - musste - Dich einfach noch
einmal sehen. Ich muss ständig an Dich denken und wollte nicht,
dass wir einfach so auseinandergehen."
Sie umarmt Dich und kuschelt sich an Dich. Dir
wird fast schwindlig von ihrer Nähe.
"Wir sehen uns bestimmt wieder. Wir ... Mein Onkel
wird bestimmt nicht allzu lange in Gwynnin bleiben. Vielleicht
können wir den Winter ja hier in Llannaid verbringen. Und dann
segeln wir mit Euch im Frühjahr wieder zurück nach
Narsaria."
"Das wäre schön. Aber für alle
Fälle will ich Dir noch etwas schenken."
Sanft löst Du Dich aus ihrer Umarmung und
ziehst Dir das Lederband mit dem Goldring über den Kopf. Du
nimmst ihre Hand und schliesst ihre zarten Finger um Band und Ring.
"Der soll Dich an mich und an diese
wunderschöne Reise erinnern."
Knacks.
Verblüfft starrt ihr beide auf ihre Hand.
Ihre Finger öffnen sich, und auf der Handfläche liegt der
Goldring - in zwei Teile zerbrochen.
Du hebst Deinen Blick und starrst in Aiunns
Gesicht. Dort kämpfen Wut, Zorn, Leid, Trauer und Tränen
miteinander.
"RAUS! VERSCHWINDE! ICH WILL DICH NIE WIEDER
SEHEN. - SCHLUCHZ - KOMM NIE WIEDER!"
"Aber....ich.... was?..."
"RAUS! GEH WEG! -SCHLUCHZ-"
Unter Tränen drängt Dich Aiunn aus dem
Zimmer. Mehrere, gar nicht halbherzige Schläge gehen auf Dich
nieder, und dann findest Du Dich auf dem Flur wieder. Die Tür
schlägt zu.
BUMM!
Der Riegel wird vorgeschoben.
KRACH!
Völlig sprachlos stehst Du einen Moment da.
Dann klopfst Du wieder an die Tür.
"Aiunn. Ich weiss gar nicht, was da gerade
passiert ist. Was ist los? Lass mich bitte wieder rein. Aiunn,
bitte!"
"VERSCHWINDE!"
"Aiunn, beruhige Dich, können wir nicht
darüber sprechen?"
"GEH WEG!"
...
Stunden später. Die Perlengrotte ist nur ein
verschwommenes Muster aus weit entfernten Farben, Tönen und
Gerüchen. Das einzig reale sind die vielen leeren Bierhumpen und
Schnapsgläser vor Dir auf dem Tisch und dieser tiefe,
verwunderte Schmerz in Dir. Ganz langsam wird Dir bewusst, dass da
jemand versucht, mit Dir zu reden.