Die Reise nähert sich langsam
ihrem Ende. In den letzten Tagen hat sich die "Celara" durch die
ersten Herbststürme gekämpft, und es gab wenig Zeit, sich
in irgendeiner Weise mit den Passagieren zu beschäftigen. Kalt,
nass, und völlig erschöpft bist Du jeden Abend in Deine
Kajüte getaumelt und hast jedesmal wie ein Stein bis zum Morgen
geschlafen. Morten und Aiunn haben kaum ihre Nasen aus den Kabinen
gesteckt.
Heute war es zum ersten Mal wieder etwas ruhiger,
und der Wind steht günstig, so dass das Schiff wahrscheinlich in
zwei oder drei Tagen Llannaid erreichen wird. Schmerzvoll denkst Du
daran, dass das wahrscheinlich den Abschied von Aiunn bedeuten
wird.
Nach der Wache hast Du Dich gewaschen und etwas
gegessen. Immer noch müde von den Anstrengungen der letzten Tage
bist Du danach, ohne es eigentlich zu wollen, auf Deiner Koje
eingeschlafen.
Plötzlich schreckst Du auf. Da war doch
etwas? Es ist dunkel, nur ein wenig Mondlicht dringt durch das
Fenster der Kajüte, und die "Celara" gleitet ruhig durch die
Wellen. Leise klopft es an Deiner Tür.
"Ja?" Deine Antwort klingt noch ein wenig
verschlafen, als Du Deine Beine aus der Kojde schwingst und zur
Tür tappst. Da geht die Tür auch schon auf, und eine
Gestalt schlüpft herein. Dein Herz schlägt schneller, als
ein bekannter Duft Deine Nase erreicht.
"Hallo." Aiunn schliesst die Tür hinter sich
und lehnt sich mit dem Rücken daran, als ob sie die Welt
dahinter ausschliessen wollte.
"Hallo!? Warte, ich mache Licht."
"Nein, tu's nicht." Aiunn schüttelt heftig
den Kopf. "Ich mag die Dunkelheit. - Ich wollte Dich sehen."
Du trittst zwei Schritte näher an sie heran.
"Es war so wenig Zeit in den letzten Tagen. Ich habe es sehr
vermisst, mit Dir zu sprechen, Aiunn."
"Ich auch." Sie verlässt ihren Platz an der
Tür und steht jetzt direkt vor Dir. Ihr Gesicht und ihre blossen
Arme schimmern im blassen Mondlicht und bilden einen scharfen
Kontrast zur dunklen Wolke ihrer Haare. Sanft legst Du eine Hand auf
ihren Arm und spürst, wie sie unter Deiner Berührung
erzittert.
"Du bist sehr schön." Innerlich wünscht
Du Dir, die Fähigkeiten eines dieser gefeierten Dichter der
Hauptstadt zu besitzen, um bessere Worte zu finden. Aiunn lacht leise
und sanft, nimmt plötzlich Deinen Kopf in ihre Hände und
zieht ihn zu sich herab. Ihre Lippen sind warm und weich und
schmecken ein wenig salzig. Der Kuss währt lange und wird innig
und leidenschaftlich. Schliesslich steht ihr in enger Umarmung
voreinander, und Aiunn schaut Dir tief in die Augen.
"Ich weiss nicht , was die Zukunft bringen wird,
aber zumindest diese Nacht will ich mit Dir verbringen."
Mit diesen etwas rätselhaften Worten zieht
Dich Aiunn in Richtung Deiner Koje.
...
Nebel liegt über der Küste Gwynneths,
aber der Lotse, dessen kleines Boot längsseits der "Celara"
festgemacht hat, meint, dass er das Schiff trotzdem sicher in den
Hafen bringen kann. Fiarel gibt den Befehl, Llannaid
anzusteuern.
Sehnsüchtig hängt Dein Blick an der in
Nebel nur undeutlich erkennbaren Gestalt Aiunns, die in ihren Umhang
gehüllt an der Reling steht. Die letzten drei Nächte kommen
Dir wie ein einziger Traum vor. Aiunn hat sich geweigert, in
irgendeiner Art und Weise Pläne zu machen oder über die
Zukunft zu sprechen. Du weisst nur, dass sie bald mit ihrem Onkel in
die Hauptstadt des Landes reisen wird, die nicht an der Küste
liegt. Eine Nachfrage bei Olorin Giamantor, ob er Dich für die
weitere Reise in seine Dienste nehmen würde, hat dieser rundweg
abgelehnt. Er brauche keine weitere Begleitung. Dagegen hat Dir
Kapitänin Fiarel angeboten, über den Winter in ihren
Diensten zu bleiben. Sie kann Dir zwar nicht die volle Heuer zahlen,
aber immerhin zwei Drittel davon, und Dir wäre die Heimreise als
Navigator der "Celara" garantiert. Eine nicht ganz einfache
Entscheidung.
Linker Hand ragt auf einmal ein grosser dunkler
Felsen aus dem Meer hervor, und die Brandung ist deutlich zu
hören. Oben auf den Klippen kann man vage eine grosse Burg oder
Festung erkennen. Dann erscheinen voraus die Masten vieler Schiffe
aus dem Nebel, und der Lotse gibt den Befehl, den Anker zu werfen.
Mit Getöse klatscht dieser in das Wasser des Hafens von
Llannaid. Die "Celara" ist am Ziel.