DATUM: 10. Aleët (Geistertag, Feuerwoche, Elrani) - Vormittags
Du ballst die Hände zu
Fäusten und spürst, wie der Zorn in Dir hochsteigt, um sich
endlich Luft zu machen.
"WER HAT HIER WEN IN SCHWIERIGKEITEN GEBRACHT
!?"
Du schaust wütend in Richtung Liona,
lässt Ihr aber gar nicht erst die Zeit für eine
Antwort.
"WENN EUER SAUBERER FREUND QUIN AIUNN NICHT ZU
DIESEM FISCHER GESCHICKT HÄTTE, WÄRE UNS ALLEN WOHL EINE
MENGE ERSPART GEBLIEBEN. ICH BIN WOHL DER LETZTE, DER SICH HIER
VERTEIDIGEN SOLLTE."
Empört schnappt Liona nach Luft.
"WasfälltEuchein,soüber..."
Aber Du lässt Dich diesmal nicht
unterbrechen.
"Aber vielleicht kommen wir ja mit der Wahrheit
bei der Stadtwache weiter?"
Herausfordernd starrst Du Liona an. Als sie
antwortet, ist nichts von ihrer üblichen Hast und dem gewohnten
Geplapper in ihrer Stimme geblieben. Im Gegenteil, sie ist langsam,
überlegt und eiskalt. Dir läuft ein Schauer den Rücken
hinunter.
"Wisst Ihr eigentlich wovon Ihr sprecht?
Beschuldigt Ihr wirklich einen Priester des Saër der
Täuschung und der Lüge? Ich könnte Euch dafür vor
das Tempelgericht schleppen."
Du senkst Deine Stimme und fährst etwas
beschwichtigend fort:
"Ich meine, was hat Quin denn mit diesem Fischer
zu schaffen? Vieleicht sollten wir ihn mal fragen? Ich meine; kommt
in einer fremden Stadt an und schickt eine ehrbare junge Dame ins
Fischerviertel um einem heruntergekommenen Schmu... ähh Fischer
den Weg zum Gasthaus zu zeigen? Wer bringt hier wen in Probleme?
Dieser Fischer ist dann auch noch tot! Wenn dieser Maduk sich soviel
Mühe damit gibt, diesen Mordfall aufzuklären, ist wohl
etwas besonderes an ihm. Unsere Verbindung zu Jolgin ist Quin. Also
ist Quinn derjenige, den die Wache befragen sollte, wo er als
Saër-Priester sicher gerne jede Unterstützung liefern
wird.
Ausserdem sagte ich schon: ICH habe die Stadtwache
nicht einbezogen."
Aber Liona ist offensichtlich nicht bereit, Kritik
an ihrem Priesterkollegen zu üben oder gelten zu lasssen. Sie
wirft Aiunn einen bösen Blick zu.
"Was Quin Verasantar mit einem hiesigen Fischer zu
tun hat, ist voll und ganz seine eigene Angelegenheit. Und wenn er
hier wäre, würde er der Stadtwache natürlich
Aufklärung geben. Es steht Euch nicht zu, Kritik an seinen
Handlungen zu üben. Was Aiunn hier anbetrifft, ist sie
für's erste besser im Tempel aufgehoben."
Du schüttelst verzweifelt den Kopf. "Meint
ihr nicht, es wirkt auf die Wache etwas befremdend, wenn Ihr jetzt
euer Quartier wechselt?"
Nun ist Liona an der Reihe, den Kopf zu
schütteln. "Ich bringe Fräulein Aiunn nur an einen Ort, wo
niemand ihrem guten Ruf schaden kann. Das bin ich ihrem Onkel
schuldig. Der Tempel der Wahrheit der Gerechtigkeit ist wohl kaum ein
Ort, an den sich jemand zurückzieht, der etwas zu verbergen
hat."
"Aber Ihr wisst doch, dass Aiunn genausowenig mit
der Sache zu tun hat wie ich. WIR haben nichts zu verbergen. Der
einzige, der wirklich was zu befürchten hat, ist Morten ....!
Wenn ich den in die Finger kriege...."
Liona ignoriert die erneute Anspielung auf Quin.
"Natürlichhatsienichtszuverbergen." Sie verfällt wieder in
ihr übliches Tempo. "Aberdarumgehtesjagarnicht.
WennsieschonineinenMordfallverwickeltwird," - Dich trifft ein
finsterer Blick -
"dannhältsiesichambestendortauf,woniemandihreEhrbarkeitinZweifelziehenkann."
Immer mehr überkommt Dich die
Verzweiflung.
"Ein plötzlicher Quartierwechsel wird
Leutnant Maduk nur glauben lassen, Ihr hättet etwas zu
verbergen, und dann wird er noch viel häufiger bei Euch
auftauchen und ständig Fragen stellen. Merkt Ihr nicht, dass Ihr
völlig überreagiert. Ich..."
In diesem Moment legt Dir Aiunn, die bisher nur
schweigend dabei gestanden hat, sanft die Hand auf den Arm.
"Tim, lass es gut sein! Du machst es nur noch
schlimmer. Ich werde mit Liona in den Tempel gehen."
Entsetzt schaust Du sie an. "Aber Aiunn,
..."
Mit ihrem Zeigefinger verschliesst sie Dir die
Lippen und wendet sich dann an die Saër-Priesterin.
"Ich packe jetzt meine Sachen und komme hinunter,
wenn ich fertig bin."
Liona nickt. "IchwarteaufDich." Mit einem letzten
bösen Blick in Deiner Richtung wendet sie sich ab und
verlässt das Zimmer.
Aiunn umarmt Dich und legt ihren Kopf an Deine
Schulter. Einen Moment verharrt Ihr so, aber dann löst Du Dich
etwas und schaust ihr in die dunklen Augen. Du kannst es immer noch
nicht ganz fassen, dass sie in den Tempel gehen will.
"Aiunn, die letzten Tage waren so
schön."
"Ach Tim!" sagt sie kopfschüttelnd. "Ich bin
doch nicht aus der Welt."
"Liona wird Dich bestimmt im Tempel einsperren,
und ich werde Dich nicht mehr sehen können."
"Warte ein paar Tage ab, dann hat sie sich wieder
beruhigt, und alles wird wieder sein wie vorher."
Du seufzt. "Ein paar Tage? Das ist eine
Ewigkeit!"
Sie lacht. "Hab' Geduld! Es gibt doch sicher noch
viele Dinge, die Du erledigen willst. Nutze die Zeit!"
Du setzt eine grimmige Miene auf. "Ja, ich werde
sie nutzen, um Morten das heimzuzahlen. Warte nur bis ich Dich finde,
Du Schuft!"
Sie schaut Dich etwas besorgt an. "Mach keine
Dummheiten. Du wirst ihn doch nicht umbringen?"
"Mal sehen." Dann musst Du all deinem Ärger
zum Trotz grinsen. "Nein, umbringen wohl nicht."
Aiunn zieht Deinen Kopf zu sich herab und gibt Dir
einen langen, innigen Kuss. "Komm, hilf mir packen, sonst wird Liona
ungeduldig und kommt wieder her."
Traurig, aber nicht ohne Hoffnung, hilfst Du
Aiunn, ihre Garderobe in eine grosse Truhe zu verpacken. Ihr tauscht
die schönsten Erinnerungen an die letzten Tage aus, und Aiunn
versichert Dir, dass diese Trennung nur vorübergehend sein wird.
Schliesslich ruft sie zwei Bedienstete des Gasthauses herbei und
lässt die Truhe nach unten schleppen.
"Küss mich nochmal!" fordert Aiunn Dich auf
und schlingt ihre Arme um Deinen Hals. Das lässt Du Dir nicht
zweimal sagen.
"Ich sage Dir Bescheid, wenn ich aus dem
Tempelexil entfliehen kann. Ich weiss ja, wo Du zu finden bist.
Solltest Du umziehen, hinterlass auf der 'Celara' eine Nachricht,
ja?"
Du nickst stumm und ziehst sie noch einmal an
Dich. Aber schliesslich entwindet sie sich Deiner Umarmung, und Ihr
geht hinunter in den Schankraum.
Dort wartet Liona.
"Naendlich.Könnenwirjetztgehen?"
Aiunn nickt. Der Wirt treibt wortreich seine
Bediensteten an, die sich daran machen, das Gepäck der beiden
aufzuladen und in Richtung des Saër-Tempels zu bringen. Liona
bezahlt den Wirt, und dieser bedankt sich unterwürfig mit vielen
Verbeugungen. Wortlos schaust Du zu, wie er die beleibte Priesterin
und die schlanke, junge Dame aus dem Haus geleitet. Aiunn dreht sich
noch einmal um, und winkt Dir aufmunternd zu. Du winkst zurück,
aber irgendwie kannst Du ihre Zuversicht nicht richtig teilen. Trotz
ihrer Versicherungen hast Du das Gefühl, als ob ein Abschnitt
Eurer Beziehung beendet wäre - ein sehr schöner
Abschnitt.
Kurz darauf kehrt der Wirt zurück. Er
scheucht eine Magd zurück an ihre Arbeit, und dann bemerkt er
Dich.
"Ahh, Herr Kallar -richtig? Kann ich Euch
irgendwie zu Diensten sein?"
Deine Gedanken wenden sich Deinem nächsten
Ziel zu: Morten.
"Ja, allerdings. Wohnt Herr Morten Essansor nicht
mehr bei Euch?"
Poirac schaut Dich erstaunt an. "Nein, schon seit
einigen Tagen nicht mehr.
Tatsächlich hat er nur eine Nacht hier
gewohnt und ist dann wieder ausgezogen."
"Ihr wisst nicht zufällig wohin?"
"Aber sicher. Der Herr Graf hat ihm die Ehre
erteilt, ihm eigene Gemächer auf der Burg zur Verfügung zu
stellen." Man sieht es Poirac an, dass er stolz darauf ist, einen
solch vornehmen Gast beherbergt zu haben.
Du überlegst. "Meint Ihr, man wird mich zu
ihm lassen?"
Der Wirt zuckt mit den Schultern. "Wenn Ihr ihn
kennt, warum nicht? Der Graf sperrt seine Gäste nicht in der
Burg ein."
"Habt Dank für die Auskunft," sagst Du und
gibst Poirac zwei Klan, denn Du weisst, dass er sich, selbst als
Besitzer des 'besten Hauses am Ort', für kein Trinkgeld zu
schade ist. So bekommst Du auch noch eine tiefe Verbeugung, wenn auch
nicht so tief wie Lionafara Yalini, als Du die 'Krone'
verlässt.
...
Das untere Tor der Burg steht einladend offen, und
nur zwei Soldaten stehen Wache. Gelangweilt halten sie den
gelegentlichen Fremden an und winken Bedienstete der Burg, die sie
kennen, einfach durch. Du wendest Dich an einen von ihnen.
"Ich möchte zu Morten Essansor. Er wohnt in
der Burg."
"Wer seid Ihr denn?" antwortet die Wache.
"Mein Name ist Tim Kallar. Ich bin der Navigator
des Schiffes, mit dem Essansor hierher gekommen ist."
Der Soldat kratzt sich am Kopf. "Essansor ...
Essansor ..."
Der andere mischt sich ein. "Ist das dieser
Baumeister aus Narsaria?"
Du nickst.
"Dann geht hoch zum oberen Tor und fragt dort
nochmal nach." Damit winkt Dich der Soldat weiter.
Hinter dem unteren Tor erstreckt sich ein
Gelände, auf dem sich die Unterkünfte der Stadtwache,
Stallungen und Gesindehäuser der Burg befinden. Über Dir
ragen die dunklen Mauern der gräflichen Burg in den blassen
Herbsthimmel empor. Du kletterst den steilen, gewundenen Weg zum
oberen Tor hoch.
...
Der Gardist, der auf Dein Bitten in der Burg nach
Morten gefragt hat, zuckt mit den Schultern. "Es tut mir leid, aber
Herr Morten Essansor befindet sich zur Zeit auf einem Jagdausflug. Er
wird nicht vor morgen abend zurückerwartet. Wollt Ihr vielleicht
eine Nachricht hinterlassen?"
Du überlegst einen Moment, schüttelst
dann aber den Kopf. "Nein, ich glaube nicht."
In diesem Moment nähert sich ein schlanker,
drahtiger Mann dem Tor. Er ist dunkelblond, und seine grauen Augen
mustern Dich aufmerksam. Die Wachen stehen stramm.
"Guten Tag. Was ist los Soldat?" fragt er einen
der Männer.
"Nichts besonderes, Herr Hauptmann. Nur ein
Besucher für Herrn Essansor."
Der Hauptmann wendet sich Dir zu. "Ihr wollt zu
Herrn Essansor? Er ist leider im Moment nicht da."
"Das hat mir die Wache bereits mitgeteilt. Ich war
gerade im Begriff zu gehen." Du verbeugst Dich, und wendest Dich ab,
um den Burghügel wieder hinabzusteigen.
"Einen Moment," sagt er, und Du drehst Dich wieder
um.
"Seid Ihr zufällig der Navigator der
'Celara'?"
Das kannst Du schlecht abstreiten, denn Du hast
Dich den Wachen schon vorgestellt.
"Ja, der bin ich."
"Oh, gut. Ich hätte gerne ein paar Worte mit
Euch gesprochen, hättet Ihr wohl einen Moment Zeit." Seine Worte
sind eine Aufforderung, keine Frage.
Mit einem Seufzer folgst Du ihm in die kleine
Wachstube im Turm. Er bedeutet Dir, auf einem der Stühle Platz
zu nehmen, schenkt aus einem Krug zwei Holzbecher voll und schiebt
Dir einen zu. Dann setzt er sich Dir gegenüber hin.
"Mein Name ist Levardos. Ich bin derjenige, dem
Herr Essansor von Euch und der jungen Dame aus Narsaria erzählt
hat. Mein Leutnant hat mir eben Bericht erstattet, dass Ihr nicht
unbedingt kooperativ gewesen seid. Nun ist dieser Fall für uns
sehr wichtig, da wir darüber vieleicht an den schlimmsten
Schmuggler Llannaids herankommen können. Ich weiss auch, dass
Ihr und die junge Dame zur Zeit des Mordes noch überhaupt nicht
in Llannaid wart. Daher bin ich nicht daran interessiert, Euch in
Schwierigkeiten zu bringen. Aber ich muss allen Spuren in diesem Fall
nachgehen. Wenn Ihr etwas kooperativer wärt, und mir
erzählen würdet, was Ihr über die Beziehung von
Fräulein Aiunn zu dem ... Fischer Jolgin wisst, bin ich mir
sicher, dass wir die junge Dame nicht weiter zu belästigen
brauchen. Was meint Ihr?"