DATUM: 10. Aleët (Geistertag, Feuerwoche, Elrani) - Nachmittags
Du streckst Taran Deine Hand hin.
"Tim. Tim Kallar. Leider könnten die Umstände unseres Treffens angenehmer
sein," sagst Du mit einem vielsagenden Blick auf Eure Umgebung. Der alte
Mann schlurft murmelnd zu einer der Nischen. Die restlichen Gefangenen,
fünf an der Zahl, liegen schlafen oder dösend an den Wänden und
kümmern sich nicht weiter um Euch. Der Raum ist kalt und feucht.
Etwas überrascht schaut Taran Deine ausgestreckte Hand, ergreift sie dann
aber mit einer bedächtigen Bewegung und schüttelt sie.
"Allerdings. Ich denke allerdings, ich werde nicht allzu lange hier
bleiben." Er grinst Dich breit an. "Und wie sieht es bei Dir aus?"
"Ich hatte wohl nur das Pech, gerade mit Hauptmann Levardos zu tun zu
haben, als ihm etwas Wichtiges dazwischen kam."
"Ah, Levardos das Schwein! Komm wir machen es uns erstmal etwas gemütlich."
Mit diesen Worten geht Taran zu einem etwas trockerenem Strohhaufen an
der Wand und vertreibt einen verkommenen Straßenjungen, der sich dort
niedergelassen hat, mit ein paar Fußtritten. Dann setzt er sich hin und
lehnt sich an die Wand.
Vorsichtig läßt auch Du Dich auf dem Stroh nieder. Mit einem Seufzer
mußt Du an das komfortable Zimmer denken, in dem noch gestern geschlafen
hast. Du verscheuchst diese Gedanken.
"Du scheinst Levardos nicht besonders zu mögen."
Taran schüttelt den Kopf. "Levardos ist ein Arschloch, das sich in die
Stadtwache und in die Gunst des Grafen geschleimt hat. Seit einem Jahr
in Llannaid und schon Hauptmann der Stadtwache? Das Schwein muß sich
durch ein Schlüsselloch schleimen können."
"Zu mir war er zürst auch scheißfreundlich, und dann bin ich plötzlich
doch hier gelandet. Aber er scheint ziemlich viel zu sagen zu haben.
Weswegen bist Du eigentlich hier?"
Er grinst. "Och, nur ein kleines Mißverständnis mit der Wache. Einer der
Feldwebel hat etwas gegen mich und meint mich bei jeder möglichen
Gelegenheit verhaften zu müssen. Aber dann muß er mich doch immer
wieder laufen lassen. Hier im Kerker bleibt niemand lange. Entweder
wird man mit oder ohne Strafe einfach wieder hinausgeworfern oder es geht
auf den Richtblock. So oder so wird hier niemand alt."
"Na dann habe ich ja noch Hoffnung. Auf den Block wird man mich wohl kaum
schicken."
Du schaust Dein Gegenüber an. Taran scheint ja recht beschlagen zu sein,
was die Stadt und die Wache angeht. Aber ob er auch etwas über den Grafen
und dessen Beziehung zum König weiß?
"Ich habe gehört, der König sei mit einem Heer hierher unterwegs? Weißt
Du, was das zu bedeuten hat? Sind der Graf und der König verfeindet?"
Taran schaut Dich überrascht an. "Was? Wo hast Du das denn gehört?"
"Ein Bote kam zu Levardos, als ich dabei war."
"Da mußt Du etwas falsch verstanden haben. Der Graf ist dem König absolut
loyal ergeben. Wahrscheinlich kommt König Geren zu einem Besuch hierher."
"Hm, das klang aber gar nicht so. Seit wann mustert man für einen Besuch
ein Heer?"
"Das ist aber eine seltsame Geschichte." Taran steht auf und scheint
plötzlich einiges von seiner Gelassenheit verloren zu haben. Unruhig
geht er auf und ab.
Du unterbrichst seinen Gedankengang. "Haben wir etwas zu befürchten,
wenn wir hier im Kerker sitzen, und die Stadt angegriffen wird? Kann
sich Llannaid überhaupt verteidigen?"
Taran starrt Dich an. "Sag doch nicht sowas! Du malst ja die reinsten
Schreckensbilder an die Wand." Er legt die Stirn in Falten. "Hm, ich habe
keine Ahnung was sie mit Kerkerinsassen machen. Aber ich glaube, wir
haben nichts zu befürchten." Seiner Stimme nach sagt er das eher,
um sich selbst zu beruhigen, als aus Überzeugung.
Mit einem Fluch setzt er sich wieder hin. "Verdammt, hoffentlich lassen
sie mich bald wieder raus."
"Wie groß ist denn so ein Königsheer?" fragst Du weiter.
Er zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung. Kommt darauf an, wielange
man Zeit hat, um die Bauern von den Feldern zu holen. Ein paar hundert
oder ein paar tausend? Llannaid hat die Wache und die Garde, insgesamt
zweihundertfünfzig Mann. Aber der Graf kann auch Bauern ausheben. Wenn
er Zeit hat. Aber Du mußt etwas mißverstanden haben, das kann gar
nicht sein."
Ihr verfallt in Schweigen. In diesem finsteren und feuchten Gewölbe
scheint die Zeit im Schneckentempo zu vergehen. Du hast das Gefühl, es
wären bereits Tage vergangen, als sich mit einem Quietschen das Gitter
in der Decke öffnet. Der Gefängniswärter erscheint am oberen Ende
der Treppe, setzt einen schmierigen alten Topf dort ab, und wirft einige
alte Brote auf die Stufen. Während die anderen Gefangegen sich hinauf
drängen und beginnen, sich um das Essen zu raufen, ruft Taran den
Wärter an:
"Owain, sag Gronwin, er soll mich endlich rauslassen. Er weiß ganz
genau, daß ich nichts getan habe. Bei Liessons Gerechtigkeit!"
Die besondere Betonung, die Taran auf die letzten drei Worte legt, läßt
Dich aufhorchen. Im schummrigen Licht bist Du Dir nicht sicher, aber die
beiden scheinen sich mit einer Art heimlichen Einvernehmen anzusehen.
Aber ohne ein Wort schlurft Owain wieder hinaus und läßt das Gitter
hinter sich mit einem Krachen zufallen.
Mit Hieben und Tritten erkämpft sich Taran zwei der Brotlaibe, die sich
die anderen Insassen inzwischen unter den Nagel gerissen hatten, und
wirft Dir einen davon zu. "Den Eintopf willst Du gar nicht essen," meint
er kauend. Aber Fragen deinerseits zu Owain ignoriert er.
Eine halbe Stunde später öffnet sich die Kerkertür erneut. Ein etwa
fünfzig jähriger, bierbäuchiger Mann in der Uniform der Wache und dem
Abzeichen eines Feldwebels steigt die Treppe hinab und bleibt unten
stehen.
"Taran, du Schurke, wo Bist Du? Du hast lange genug die Gastfreundschaft
der Wache genossen. Du mußt Deinen Lebensunterhalt jetzt wieder selber
verdienen."
Taran tritt aus dem Schatten auf den Feldwebel zu. "Ich hab Dir doch
gesagt, daß ich nichts getan habe, Gronwin. Ich bin unschuldig."
"Ha! Wenn Du unschuldig bist, bin ich Ulthar persönlich. Ich werde Dich
schon irgendwann erwischen. Dann baumelst Du!"
"Jaja, natürlich. Und der Himmel ist grün, das Meer gelb und Du hast
Glück bei den Frauen."
"Komm endlich, bevor ich es mir anders überlege, und Dich hier verrotten
lasse. Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit."
"Einen Augenblick," sagt Taran und kommt nochmal zu Dir. "Kann ich für
Dich draußen etwas tun?" fragt er Dich leise und schaut Dich erwartungs-
voll an.