DATUM: 10. Aleet (Geistertag, Feuerwoche, Elrani) - Abends
"Was heißt hier wollen? Wer hat schon Lust in Kriegszeiten im Kerker
zu sitzen?"
Aufmerksam betrachtest Du Levardos. Sonderlich in Eile oder nervös wirkt
er nicht. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Aber egal, Du
mußt jetzt Klarheit haben, ob er bereit ist, Dich aus dem Kerker zu lassen.
"Also dachte ich mir, es ist uns beiden damit geholfen ein wenig Licht
in diese dunkle Angelegenheit zu bringen. Ich komme aus diesem
luxuriösen Gemach, und Ihr seid der Lösung des Mordfalles einen guten
Schritt näher."
Du machst eine kurze Pause. Levardos hört Dir aufmerksam zu und macht keine
Anstalten, Dich zu unterbrechen.
"Und ich denke, wenn Du erkennst, daß ich mit dieser Angelegenheit
nichts zu schaffen habe, gibt es keine weitere Veranlassung die
tieferliegenden Räumlichkeiten überzubelegen!"
Ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen zeigt, daß der Hauptmann die
herablassende Anrede durchaus bemerkt hat. Aber er läßt sie unkommentiert
vorübergehen.
"Kommen wir da ins Geschäft?" Du ziehst die Augenbrauen hoch und blickst
Levardos erwartungsvoll an.
Einige Herzschläge lang starrt er ziemlich ernst zurück. Aber dann fängt
er kopfschüttelnd an zu lachen, wie über einen Witz, den nur er versteht.
"Meister Kallar, Ihr könnt es wohl nicht lassen, nur nach Euren Bedingungen
Aussagen zu machen." Plötzlich wird er wieder ernst. "Seht her, mir
persönlich ist es völlig egal, ob Ihr heute noch freikommt, oder einige
Wochen dort unten schmachtet. Ich will nur wissen, was Ihr über den Mord
an dem Fischer wißt, und was Eure schöne Freundin damit zu tun hat. Daß
ich keine härteren Maßnahmen anwende, liegt nur an gewissen - sagen wir
gesellschaftlichen Verpflichtungen, und die sind noch nicht einmal besonders
wichtig. Wenn ich also den Eindruck habe, Ihr sagt mir offen und ehrlich,
was Ihr wißt, dann könnt Ihr diesen Ort sofort verlassen. Wenn nicht," er
zuckt mit den Schultern, "dann müßt Ihr wohl noch eine Weile hierbleiben."
"Daß weder ich noch Aiunn etwas mit dem Mord zu tun haben, sollte Euch doch
schon lange klar sein. Wir waren noch nicht einmal in der Stadt, als es
passierte! Und ich war noch nie in meinem Leben hier in Llannaid. Ich kann
also kein Verdächtiger in Eurem Mordfall sein."
Levardos seufzt. "Ich verdächtige Euch keineswegs der Mitschuld. Aber Ihr
wißt irgendetwas, oder Ihr versucht, Eure Freundin zu decken. Und bevor
ich das nicht aus Euch herausgequetscht habe, kommt Ihr nicht aus dem
Kerker heraus. Und Ihr solltet Euch schnell entscheiden, denn ich habe
nicht mehr viel Zeit, mich um Euch zu kümmern." Die letzten Worte spricht
Levardos in einem deutlich unfreundlicherem und bedrohlicherem Ton.
Du denkst einen Moment nach. Einerseits sieht es nicht so aus, als wolle
Levardos Dir irgendeine Garantie geben, andererseits willst Du nicht den
Anschein erwecken, er habe Dich eingeschüchtert.
"Nun gut, ich verlasse mich darauf, daß Ihr mich nicht einfach willkürlich
hierbehalten werdet. Ich habe bisher geschwiegen, weil ich eine junge
Dame nicht in Schwierigkeiten bringen will, auch wenn sie eigentlich mit der
Sache gar nichts zu tun hat." Du holst tief Luft. "Es fing damit an, daß
ich zufällig mitbekam, daß Aiunn ins Fischerviertel ging ..."
...
"... und Quin hatte zwei Schläger angeheuert, finstere Gestalten. Etwas
ungewöhnlich für einen Saer-Priester, meint Ihr nicht? Auf jeden Fall ..."
...
"... und am nächsten Morgen sind Quin und Olorin dann nach Gwynnin
aufgebrochen. Das ist alles, was ich weiß." Du verschränkst die Arme vor
der Brust und schaust Levardos erwartungsvoll an.
Er hat Dir aufmerksam zugehört und nur hin und wieder eine Zwischenfrage
gestellt. Jetzt wirkt er nachdenklich. "Hmm, sehr seltsam ... aber auf jeden
Fall könnt Ihr gehen, Meister Kallar. Nichts für ungut, ich hoffe, der
kurze Aufenthalt im Kerker verdirbt Euch nicht das Bild von Llannaid."
Levardos letzte Worte sind nur eine leere Phrase, aber Du kannst es Dir
nicht verkneifen, etwas spitz zu antworten: "Keine Sorge, das passiert
bestimmt nicht."
Levardos wendet sich schon in Gedanken versunken zum Gehen, aber Du hältst
ihn nocheinmal auf. "Ich hoffe, ich bekomme mein Eigentum zurück, ich hatte
meinen Anteil unserer letzten Fahrt dabei, als ich von Euch in 'Gewahrsam'
genommen wurde."
"Aber sicher, sicher. Man wird Euch alles zurückgeben."
Mit diesen Worten verläßt der Hauptmann den Raum, und Du folgst ihm.
Draußen wartet Owain in dem von Fackeln erleuchteten Raum. Er macht kein
sehr zufriedenes Gesicht, als er angewiesen wird, deinen konfiszierten
Besitz herbeizuschaffen. Schließlich bringt er eine kleine Kiste an, stellt
sie auf den Boden und überläßt es Dir, Deine Sachen darin zu finden.
Als Du die Silberstücke in Deinem Geldbeutel nachzählst, kommst Du jedoch
nur auf sechzehn, anstatt auf die zwanzig, die Dir Fiarel ausgezahlt hat.
"Was ist mit meinem restlichen Geld?" fragst Du scharf.
Owain spuckt auf die Fliesen und schnieft ausgiebig. "Was für Geld?"
"Ich hatte zwanzig Telos in meinem Beutel, es fehlen vier." Du schaust ihn
grimmig an.
"Mehr war nicht drin." Mit seiner verbliebenen linken Hand streicht Owain
unruhig durch seine wenigen fettigen Haarsträhnen.
"Owain!" fährt Levardos, der bis jetzt schweigend daneben gestanden hat, ihn
in hartem Befehlston an. "Keine Unterschlagungen. Rück das fehlende Geld
heraus."
Mit einem verächtlichen Spucken holt der Wärter einen schmierigen Beutel
aus seinem Wams und zählt Dir langsam und zögernd vier Telos auf die Hand.
Seine Blicke sprechen dabei eine beredte Sprache. Am Liebsten würde er
jetzt wohl Levardos den Hals umdrehen.
Schließlich hast Du alle Deine Sache beisammen und wirst von einem Soldaten
aus der Burg gebracht. Du denkst nocheinmal über Levardos Abschiedsworte
nach. "Und wenn Ihr mehr über diese Angelegenheit erfahrt, der Graf würde
sicherlich eine stattliche Belohnung bezahlen, wenn dieser Mord aufgeklärt
wird," hat er gesagt.
Vor dem Tor stehend atmest Du tief die kalte Nachtluft ein. Ahh, endlich raus
aus diesem Loch. Unter Dir blinken die Lichter Llannaids im Dunkeln. Es
geht schon langsam auf Mitternacht zu. In der Dunkelheit ist nicht
auszumachen, ob in der Stadt irgendwelche kriegerischen Vorbereitungen
getroffen werden.