Ihr folgt Hauptmann Brandon, der Euch
mit langen Schritten vorauseilt. Ein Hauch von Nebel scheint selbst
in den Korridoren zu hängen. Ihr gelangt schliesslich in den
Haupttrakt der Burg, und steigt eine Wendeltreppe empor. Auf dem
dritten Absatz macht der Hauptmann halt und klopft an eine niedrige
Holztür, die tief in die Wand eingelassen ist. Dumpf ist ein
"Herein" zu hören, und Brandon öffnet die Tür. Seine
Geste bedeutet Euch einzutreten. Leicht den Kopf einziehend tretet
Ihr über die Schwelle in den Raum dahinter. Der Hauptmann folgt
Euch nicht, sondern schliesst die Tür von aussen. Es sind keine
Schritte zu hören, anscheinend bleibt er auf dem Absatz der
Treppe stehen.
Offensichtlich befindet Ihr Euch in einem der
Türme der Burg, denn der Raum ist halbrund. Schwere
Brokatvorhänge verdecken mehrere Fenster, und drei Kohlebecken
geben ihr Bestes, um Feuchtigkeit und Nebel aus dem Raum
fernzuhalten. Mehrere Sessel und hohe Lehnstühle sind um einen
niedrigen Tisch in der Mitte des Raumes gruppiert, auf dem einige
Bücher und Schriftrollen liegen. In einem der Lehnstühle
sitzt zusammengesunken die greisenhafte Gestalt von Bergen ap
Llannaid, dem Onkel des Grafen. Seine grauen Augen über der
Hakennase mustern Euch misstrauisch. Die Miene des Grafen ist
offener. Er ist von seinem Sitz aufgestanden, um Euch zu
begrüssen. Hochgewachsen und etwas hager, mit tadelloser
Kleidung und gepflegtem Bart bietet er das Bild eines kultivierten
Edelmannes von Welt. Aber die Falten in seinem Gesicht und die grauen
Strähnen in seinem ansonsten braunen Haar verraten, dass er
nicht mehr der Jüngste ist.
"Saër und Liësson zum Gruss. Nehmt
Platz! Ich bedaure, dass sich das Wetter meiner Stadt von einer solch
traurigen Seite zeigt. Aber vielleicht ist es, wie mir scheint, dem
Gegenstand unseres Gesprächs angemessen."
Ein fragender Blick deutet an, dass er nun bereit
ist, Euer Anliegen zu hören.
Gwendon bedankt sich zuerst für die
Unterbringung und versäumt es nicht, ein paar Komplimente an den
Mann zu bringen. Dann ergreift Turras das Wort und kommt zum Kern der
Sache. Von vielen Zwischenfragen des Grafen unterbrochen,
erklärt er seine Beziehung zu Malvin, und dass dieser an ihn
herangetreten ist, um den Grafen Malvins Bedenken, die König
Geren betreffen, mitzuteilen.
"Malvin hat Dokumente in seinem Besitz, die kaum
Zweifel daran lassen, dass Geren eine ganze Bande von Söldlingen
anheuerte, um die Familie seines Bruders zu verfolgen und
umzubringen. Als Malvin dies erfuhr, schickte er sofort einige seiner
Leute hinterher, sie konnten jedoch nur noch den Tod der Familie
bestätigen."
Weiterhin erklärt Turras, dass Malvin sich
ausserstande sieht, diese Beschuldigungen gegen den König
alleine vorzubringen. Er braucht die Unterstützung von
angesehenen Männern des Reiches, sonst liesse Geren ihn einfach
nur ins Verlies werfen, wie er es schon einmal versucht hat.
"Angesichts dieser Tatsachen lässt Euch
Malvin mitteilen, dass er starke Zweifel an der Schuld Corwins hegt.
Auch gibt er zu bedenken, dass völlig unklar ist, ob Prinz
Corwin überhaupt noch am Leben ist. Geren könnte ihn jeden
Moment beseitigen. Es wäre also vorteilhaft, schnell zu
handeln."
Der Onkel des Grafen wirft einige Worte auf Gwin,
der Sprache des Landes, ein, worauf der Graf nickt und sich wieder an
Turras wendet.
"Ich war selbst Zeuge, wie die Hohepriesterin des
Saer die königlichen Geschwister befragte. Sie bestätigte
die Wahrheit von Gerens Anschuldigungen. Ich kann mir nicht
vorstellen, dass jemand in der Lage ist, die Hohe Richterin zu
täuschen."
Gwendon ergreift das Wort. "Seid Euch dessen nicht
zu sicher Herr Graf. Ich war dabei, als sich in Ulassir am Ewigen
Meer heraustellte, dass ein angesehener Priester des Herrn des
Meeres, Ulan, kein Mensch, sondern ein künstliches Ungeheuer aus
Eis war. Sein eigener Hohepriester war sich dessen nicht bewusst.
Unheilige Dinge geschehen in der Welt."
Bergen ap Llannaid hustet krächzend und
beginnt, wieder in Gwin, auf den Grafen einzureden. Offensichtlich
ist der alte Mann nicht bereit, etwas anderes als seine Muttersprache
zu sprechen, obwohl er der Unterhaltung anscheinend problemlos folgen
kann.
Schliesslich fährt der Graf fort. "Das sind
sehr bittere Anschuldigungen, die Oberst Malvin gegen den König
vorbringt. Aber was erwartet er von mir? Soll ich aufgrund einiger
vager Hinweise zum Tempel des Saër gehen und den König
anklagen? Ich wäre ein schlechter Lehnsmann, wenn ich derart
vorschnell handeln würde."
"Malvin erwartet nichts von Euch. Er bittet Euch
nur darum, auf ein Treffen einzuwilligen, bei dem er Euch die
Dokumente zeigen und mit Euch reden kann. Ihr werdet verstehen, dass
er als ein gejagter Mann nicht einfach in Llannaid erscheinen kann.
Sagt mir einen Ort und einen Tag, und er wird Euch dort treffen,
solange Ihr nicht mit einer Armee erscheint, um ihn gefangen zu
setzen."
Während Turras noch versucht, den Grafen zu
einem Treffen mit Malvin zu bewegen, hört Gwendon ein
Geräusch von einem der Fenster. Er steht auf - das Gespräch
verstummt. Ein paar schnelle Schritte zum Fenster - alle Augen sind
auf ihn gerichtet. Er zieht den Vorhang zur Seite - Nichts. Nur der
Schatten eines Vogels verschwindet im Nebel.
"Wir befinden uns gute zwanzig Schritt über
dem Erdboden und Wachen wurden postiert. Hier kommt so schnell
niemand herauf", meint Graf Tamaig beruhigend.
Gwendon nimmt wieder Platz.
Der Graf blickt fragend zu seinem Onkel, und die
beiden führen einen kurzen Wortwechsel.
"In einer Woche, am Richttag der Wasserwoche
dieses Monat oder nach Eurer Rechnung am 9. Aleët, gehe ich auf
die Jagd im Forst von Dannmar. Ich werde Oberst Malvin am Tag darauf
in der Ruine in der Nähe von Ternad erwarten. Und nun lade ich
Euch dazu ein, gemeinsam mit mir zu speisen, Ihr seid sicherlich
hungrig. Ausserdem bin ich begierig darauf, Neuigkeiten aus dem
fernen Chelekar zu hören."
Tatsächlich ist der Vormittag über dem
Gespräch mit dem Grafen vergangen. Den Rest des Tages verbringt
Ihr gezwungenermassen in seiner Gesellschaft, denn er lässt Euch
nicht gehen, bis er alles gehört hat, was ihr von Euren Reisen
zu berichten bereit seid. Seinerseits lässt er sich nicht
zweimal bitten, über das Königreich Gwynneth zu
erzählen, wobei er allerdings offensichtlich darauf bedacht ist,
aktuelle Politik aus dem Spiel zu lassen.
Ihr erfahrt, dass Gwynneth vor fast 500 Jahren
(nach Gwynnether Zeitrechnug schreibt man das Jahr 495) von Ulthar
Riesentöter (ja, er erschlug einen Riesen) mit Hilfe des
magischen Schwertes "Durang" gegründet wurde. Alle zwölf
Adelshäuser des Reiches führen ihre Linie auf diesen Helden
zurück. Geren ist der vierte König aus dem Hause Camlin,
ohne seinen Bruder Corwin zu rechnen. Der Graf selbst ist aus dem
Hause Llannaid und gebietet über die gleichnamige Stadt und
deren Umland.
Carnbain aus dem Hause Tereg ist der Onkel des
Königs und ein alter,schlauer Fuchs. Prinzessin Cera, die Frau
von Prinz Corwin und für ein paar Monate Königin von
Gwynneth, war aus dem Hause Ulbraig. Das Haus Cormar bewacht die
Grenze zum Nachbarreich Langein, mit dem Gwynneth über
Kupfervorkommen in den Hügeln von Faelgan im Streit liegt.
Subran aus dem Hause Gawaen ist die Hohepriesterin des Saer und eine
gute Freundin des Grafen. Ansonsten ist das Haus Gawaen etwas
hinterwäldlerisch, aber wesentlich besser als das Haus Diamnad,
dass immer seine eigene Politk verfolgt und dem Reich nicht besonders
loyal ist. Die Häuser Galbraig und Riados haben ihre
Besitztümer an der kernwärtigen Grenze und haben seit
einigen Jahren Schwierigkeiten mit den Nomaden der Kalten Ebenen. Zu
den Häusern Farwen, Hadraing und Ulath hat der Graf nicht viel
zu sagen.
Morgen bei Sonnenaufgang findet ein grösserer
Feiertag zu Ehren Liëssons und Saërs statt, den auch der
Graf besuchen wird.
Es ist schliesslich sehr spät, als Ihr in
Eure Gemächer zurückkehrt.
Turras findet jedoch noch Zeit, Levardos unauffällig die Nachricht zukommen zu lassen, dass
der Graf zu einem Treffen mit Malvin bereit ist. Levardos wird ihn
benachrichtigen.